Von Mirjam Moll

Die Türkei hat die Siebenmeilenstiefel in Richtung Autokratie angezogen, einen Weg zurück wird es nicht geben. Damit muss sich nun auch die Europäische Union auseinandersetzen. Doch unter den Mitgliedstaaten fehlt für einen solch radikalen Schritt der Rückhalt. Österreich steht mit der Forderung nach einem Ende der Beitrittsverhandlungen alleine da. Allerdings bleibt in Frankreich und Deutschland mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen die Angst vor den Konsequenzen groß. Den Flüchtlingsdeal mit Ankara, den Erdogan aufzukündigen gedroht hat, wollen weder Berlin noch Paris gefährden.

Dabei gab sich Erdogan selbst großspurig und betonte unmittelbar nach dem Referendum, das Ende der Beitrittsgespräche wäre nicht so schlimm. Ein weiteres Referendum über den EU-Beitritt stellte er ebenfalls in Aussicht. Beides muss jedoch im Licht des knappen Ergebnisses betrachtet werden. Der Staatspräsident kann sich nicht auf einem deutlichen Sieg ausruhen. Aus demselben Grund wird er weitere Abstimmungen, deren Ausgang ungewiss wäre, aber eben auch unterlassen. Zumal sich hinziehende und dabei ergebnislose Verhandlungen mit der EU dem Staatspräsidenten in die Hände spielen. Zum einen, weil er damit die Notwendigkeit seines harten Kurses rechtfertigen will. Zum anderen weil die Gemeinschaft ein wichtiger Geldgeber für die Türkei bleibt.

Seit über 20 Jahren verbindet die Europäische Union und die Türkei eine Zollunion, von deren Früchten das Land am Bosporus maßgeblich profitierte. Die Türkei braucht europäische Importe, viel dringender aber das dortige Knowhow - jetzt dringender denn je. Diese Zusammenarbeit könnte realistisch ausgebaut werden - ohne die immer utopischer werdende Perspektive eines Beitritts der Türkei zur EU, an der Erdogan längst nicht mehr interessiert ist.

Das Argument, nach dem die Gemeinschaft über die in Aussicht gestellte Aufnahme in ihrem Kreis mehr Einfluss auf die demokratischen Entwicklungen im dem Land am Bosporus ausüben kann, hat sich spätestens jetzt ohnehin als naiv verklärter Optimismus entpuppt. Statt einer Annäherung an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte liebäugelt Erdogan einmal mehr damit, ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe abzuhalten. Der Mann in Ankara sucht die Konfrontation mit Brüssel und testet, wie weit er gehen kann. Dabei kennt er die Antwort bereits: Europa war und ist in dieser Frage nicht verhandlungsbereit. Die Gemeinschaft muss sich entscheiden, ob sie Erdogan länger gewähren lassen will oder ihm mit einem Ende der Beitrittsverhandlungen zuvorkommt. Egal wie sie sich entscheidet - sie kann nur verlieren. Erhält die EU die Verhandlungen ohne sichtbare Fortschritte, die es unter den gegebenen Umständen nicht geben kann, aufrecht, wird sie zum Kanonenfutter für Erdogans Machtpolitik. Kündigt sie die Beitrittsperspektive, aber eben auch.