Von Gerd Schneider

Europas Schreckenszenario ist ausgeblieben, das ist die wichtigste Nachricht der Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Emmanuel Macron, der einzige der zehn Kandidaten, der als überzeugter Europäer gilt, hat es neben der Rechtspopulistin Marine Le Pen in die Stichwahl geschafft. Obschon viele

Demoskopen das auch vorausgesagt hatten, spielten die Finanzmärkte einen möglichen schwarzen Montag schon einmal durch. Hätte sich etwa neben Le Pen der Radikal-Linke Mélenchon durchgesetzt, wäre ein „Frexit“ nicht mehr unwahrscheinlich gewesen. Man kann sich ausmalen, wie das die Börsen heute durchgeschüttelt hätte.

Nun spricht viel dafür, dass der Quereinsteiger Macron Frankreichs nächster Präsident wird. Bei Wahlen in Frankreich gehört es zum Brauch, im ersten Durchgang nach Gefühl und Neigung abzustimmen - für viele eine Gelegenheit, etablierte Politiker abzustrafen. So geriet die Wahl für die regierenden Sozialisten und für die Republikaner zu einem Desaster. In der Stichwahl dagegen spielt oft der Verstand die größere Rolle. Insofern hatte man sogar damit gerechnet, dass Le Pen vom Front National am Sonntag die meisten Stimmen erhielte. Doch die bekam Macron. Offenbar spricht der Anführer der Bewegung „En Marche!“ Kopf und Bauch bei den Wählern an. Aus proeuropäischer Sicht war gestern also ein Tag der Hoffnung. Zum Aufatmen ist es aber noch zu früh.